Archiv für das Jahr: 2014

Ghettoblaster

JVC RC-M90 oder Sharp GF-777: Sie waren die ungekrönten Könige der späten 1970-er und der 1980-er Jahre. Sie waren mit Tragegriff versehene Hi-Fi-Anlagen der Sonderklasse: 10 bis 15 Kilo schwer und mit bis zu 100 Watt Leistung, und sie pflegten Batterien zu fressen wie Kühe Gras. Mit ihrer Soundgewalt vermochten sie ganze Strassenzüge leerzufegen; nicht umsonst nannte man sie auf Englisch boombox oder ghetto blaster – von Englisch to blast, «in die Luft jagen». Tragbar waren sie mit Einschränkungen – mit mehr oder weniger elegantem Schwung pflegte sich der breaker die koffergrossen Kraftwerke auf die Schulter zu wuchten, um anschliessend mit rhythmischem Hüftschwung die hämmernden Bässe durchs Viertel zu tragen.

Ghettoblaster
Der Ghettoblaster war in den USA nicht nur Musikmaschine, sondern Programm. In den Vierteln sozial benachteiligter Schichten wurde der Ghettoblaster rasch zum Instrument einer Strassenkultur, die sich «Hip-hop» nannte und die eigentliche music battles auszutragen pflegte, Breakdance-Duelle, bei denen die b-boys genannten Tänzer gegeneinander antraten, sich zu Boden fallen liessen, um dort mit atemberaubend akrobatischen Drehungen und Sprüngen ihrem Protest lautstark Ausdruck zu geben.

Die «Rock Steady Crew», 1977 in der New Yorker Bronx entstanden, war eine dieser Gruppen. Ihre Tanzakrobaten mit Fantasienamen wie «Crazy Legs» oder «Frosty Freeze» trugen dazu bei, dass aus dem New Yorker Hip-Hop eine weltweite Bewegung wurde – und die Soundmaschine namens Ghettoblaster zum Statussymbol.

Kakao

Kakao ist die Bohne des Kakaobaums – oder genauer: das aus ihr gewonnene Pulver. Kakaobohnen sind ein wichtiges Exportprodukt vieler Länder Südamerikas, Westafrikas und Südostasiens. Das Wort stammt aus alten Sprachen der Ureinwohner Mexikos und später der Maya und der Azteken.

Die Kakaofrucht und die darin eingebetteten Bohnen werden seit Jahrtausenden genutzt. Archäologen haben in Honduras Gefässe aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. ausgegraben, in denen Kakaoreste nachgewiesen wurden. Getrunken allerdings wurde nicht Kakao aus der gemahlenen Bohne. Getrunken wurde vielmehr eine Art Kakaobier aus dem zuckerhaltigen, vergorenen Fruchtfleisch der Kakaofrucht. Die Bohne dagegen war bei den Maya und Azteken weniger Genuss- als vielmehr Zahlungsmittel. Und wenn aus ihr doch ein Getränk wurde, dann – weil kostbar – nur für die oberen Zehntausend und zum Zweck religiöser Rituale.

Als Hernándo Cortés und seine conquistadores 1519 die Halbinsel Yucatán eroberten, kam ihnen der leicht bittere, ungesüsste Trank anfänglich spanisch vor. Als Heissgetränk aber, mit Rohrzucker, Gewürzen und Milch zubereitet, fand der Kakao seinen Weg in die Tassen der Alten Welt, zuerst als Heilmittel, dann als Luxus an Königs- und Fürstenhöfen.

Lange Zeit wurde darüber gestritten, ob Kakao eine Speise sei. Weil sein Genuss aber das kirchliche Fastengebot gebrochen hätte und mittlerweile auch die angerufenen Päpste nicht mehr verzichten mochten, lautete am Ende das Verdikt: Es ist ein Getränk. Kakao erhielt den päpstlichen Segen und wurde damit endgültig zum Stoff, aus dem die süssen Träume sind.

Roboter

Roboter sind High-Tech-Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen sollen, und manchmal gleichen sie uns mehr als uns lieb sein kann:

Es ist eben nicht so, als ob man Roboter nur in den Fabriken fände; und es braucht nur ein wenig Nachdenken über den Rahmen, in welchem sich das Leben des modernen Städters abpielt, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass wir alle in irgendeiner Hinsicht Roboter sind,

schrieb schon 1951 der belgische Sozialist und Sozialpsychologe Hendrik de Man.

Roboter
Wozu unser technisches alter ego eigentlich gut sein soll, weiss die Wortgeschichte: «Roboter» kommt von robota, dem tschechischen Wort für «Arbeit». Der wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Bergen-Belsen umgebrachte Künstler Josef Čapek erfand das Wort 1920 für seinen Bruder. Der nämlich hatte das Stück «R.U.R» geschrieben, eine Parabel über das Unternehmen «Rossums Universalroboter», das künstliche Menschen produziert. Als rechtlose Billigarbeiter versehen sie ihren Dienst und verändern nach und nach die gesamte Weltwirtschaft, bis sie sich schliesslich gegen die Menschheit richten, die sie erschaffen hat.

Die Vorstellung von der Mensch-Maschine aber ist noch viel älter. Sie geht auf den alten jüdischen Mythos vom Golem zurück, eine aus Lehm geschaffene Gestalt mit übermenschlichen Kräften, die durch Magie zum Leben erweckt wird und die gehorchen, aber nicht sprechen kann. Auch dem Talmud zufolge sind wir alle ein bisschen Roboter: Die Erschaffung Adams wird hier beschrieben wie die eines Golems: aus einem formlosen Klumpen Lehm.

Rotwelsch

Rotwelsch kommt von rot, einem alten Wort für «falsch», und welsch, für eine romanische, fremde, unverständliche Sprache. Es ist eine im Mittelalter entstandene Gaunersprache wie das Berner Mattenenglisch, eine Art Geheimcode der unteren Zehntausend. Der Zweck des Rotwelschen ist es, von der Obrigkeit nicht verstanden zu werden. Kassiber (aus der Zelle geschmuggelter Zettel), Blüte (gefälschte Banknote), baldowern (auskundschaften) oder mopsen (stehlen) – eine ganze Reihe von Begriffen haben es zwar in unseren Alltag geschafft, die meisten anderen aber bleiben unverständlich.

Der Polente, der Polizei, war das seit jeher ein Dorn im Auge. Anfang der dreissiger Jahre durchforstete das preussische Innenministerium seine Personalakten, um jemanden zu finden, der Rotwelsch, Jiddisch und Zigeunersprachen beherrschte. Mit Erfolg: Die Beamten stiessen auf den Studenten Siegmund Wolf, der als Jugendlicher lange mit Fahrenden umhergezogen war. Wolf wurde nach Berlin zitiert, wo man ihm Studiengeld und einen Vertrag anbot. Seine Aufgabe: eine umfassende Literaturrecherche und das Anlegen eines Rotwelsch-Wörterbuchs.

Kurz vor Kriegsbeginn ging Wolfs Vokabular an einen Verlag in Leipzig – und fiel dort prompt einem Bombenangriff zum Opfer. Nach Kriegsende brauchte Wolf volle elf Jahre, um das Manuskript wiederherzustellen. 1956 war es endlich soweit: In Mannheim erschien das «Wörterbuch des Rotwelschen» mit gegen 6500 erklärten Ausdrücken, zur grossen Genugtuung der Polizei und zum grossen Verdruss der Gauner.

Klischee

Berner sind langsam und behäbig, Zürcher schnell und hochnäsig. So will es das Klischee. Es ist ein Stereotyp, eine abgegriffene Vorstellung, ein gedanklicher Abklatsch – und ist es negativ besetzt, wird es gar zum ausgewachsenen Vorurteil.

Das Klischee ist uralt. Es stammt aus einer Zeit, in der Druckerpressen noch lärmende Maschinen waren, die ächzten und rasselten und penetrant nach frischer Druckfarbe rochen. Ein Klischee ist ursprünglich eine Druckform für den Hochdruck, die – im Gegensatz zu den Bleilettern – aus Kupfer, Zink oder Messing besteht und grafische Motive drucken kann. Ein Klischee muss immer eigens für seinen ganz bestimmten Zweck angefertigt werden: Auf die Metallplatte wird eine lichtempfindliche Schicht aufgebracht, das Druckmotiv anschliessend aufbelichtet. Das Licht lässt die Schicht härten, die unbelichteten Stellen dagegen bleiben wasserlöslich und lassen sich abspülen. Das Metall wird dann mit Säure weggeätzt. So bleiben nur die belichteten Partien erhöht und hinterlassen später einen Abdruck.

Das Wort «Klischee» kommt vom französischen clicher (auf Deutsch «nachbilden», «zum Druckrelief formen»). Sein Ursprung ist ein spätmittelalterliches Wort aus den Zeiten Johannes Gutenbergs: Clic ahmt das Geräusch des Druckstocks nach, der aufs Papier gepresst wird. Und wie die Form auf dem Papier Mal für Mal dieselbe Spur hinterlässt, greifen wir gern zum gedanklichen Klischee. Jedenfalls wenn‘s um Berner oder Zürcher geht.